“Wir haben den Begriff Direct Trade auf die nächste Stufe gehoben!” – Interview mit Ansgar Elfgen

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Nach dem wir den Kaffee von Carl Mertens Wittwe ausgiebig verkostet und für ausgezeichnet empfunden haben, wollten wir mehr über die Herkunft des Spezialitätenkaffees erfahren. Daher haben wir Ansgar Elfgen – Inhaber von Carl Mertens Wittwe – ein paar interessante Fragen gestellt. Das vollständige Interview kannst du hier lesen.

Interview mit Ansgar Elfgen

barista-passione.de: Wer steckt eigentlich hinter Carl Mertens Wittwe?

Ansgar Elfgen: Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war es üblich, Kaffee roh zu kaufen und auf dem heimischen Herd selber zu rösten. Unser Gründungsvater Carl Mertens bewies Mut. 1838 startete er die gleichnamige Kaffee-Rösterei in der Kölner Südstadt.

Seine Ehefrau Therese führte nach dem frühen Tod des Gründers Carl Mertens die Firma 1871 alleine weiter. Die Kaffee-Rösterei erhielt die gesetzlich vorgeschriebene Namens-Ergänzung „Wittwe“ – wie seinerzeit noch üblich und mit einem doppelten „t“.

Die Wittwe, bis dahin Mutter und Großmutter, wurde zum Herz und Mittelpunkt der Kaffeerösterei. Sie erwies sich als außergewöhnliche Frau. Sie entwickelte Carl Mertens Wittwe zu einer der bedeutendsten Kaffeeimport- und Großhandelsfirmen in Deutschland.

Therese Mertens, die resolute Wittwe, machte die Kaffeerösterei fit für die Zukunft. Als sie 1895 im Alter von 71 Jahren verstarb, übernahmen ein Enkel, mein Urgroßvater Heinrich Elfgen und ein weiterer Teilhaber das Ruder. Drei Männer ersetzten eine Frau.

180 Jahre nach Gründung der Kaffeerösterei geht die Familientradition jetzt weiter. Bärbel, meine Frau, und ich, ein Urenkel des ersten Teilhabers, führen das Geschäft als Solopreneure. Kaffee ist Genuss für alle Sinne. Kaffee vermittelt Wärme, Liebe, Freude, Energie, Geborgenheit, Ruhe und Heimat. Genau dafür stehen Bärbel und ich.

barista-passione.de: Du betreibst die Kaffeeplantage Finca Río Colorado als Public-Private-Partnership Projekt. Was steckt hinter dem Projekt und welche Ziele werden damit verfolgt? 

Ansgar Elfgen: Regierungen befinden sich in großen Städten. Daher bevorzugen sie eher die urbanen Zonen und vernachlässigen die ländlichen Gegenden, besonders in Ländern mit nur begrenzten finanziellen Möglichkeiten wie das in Deutschland noch weithin unbekannte Honduras.

Gemeinsam mit 25 Partnern aus Honduras, Italien und Deutschland betreiben wir seit 2016 die Finca Rio Colorado als Public-Private-Partnership. Zusammen vereinen wir das gesamte Kaffee-Wissen – von der Nursery bis zum Genuss in der Tasse, vom honduranischen Kaffeebauern bis zum italienischen Barista.

Mit der Finca Rio Colorado vermitteln wir den ländlichen Bauern den Stand der Wissenschaft und Methoden zum ökologischen und nachhaltigen Anbau von Specialty-Coffee sowie für andere Einkommensquellen. Dadurch steigern wir nachhaltig die Erträge ihrer landwirtschaftlichen Produktion. Junge Menschen sehen für ihre eigene Zukunft wieder Perspektiven und wandern nicht mehr in die großen Städte ihrer Heimatländer oder in die USA ab.

Die örtliche Kaffeegenossenschaft Cooperative Cafetalera Capucas Ltda. (CoCafCal), ein regionaler Zusammenschluss von rund 850 Kaffee-Bauern, ist Partner unserer Public-Private-Partnership.

Die Capucas Coffee Academy ist ein wichtiger Bestandteil unser Public-Private-Partnership. María Portillo, die erste Frau, die die National Barista Championship 2016 und 2017 gewann, hat hier ihr Grundwissen erlernt. Sie wurde zum Vorbild für viele junge Frauen.

barista-passione.de: Direct Trade wird bei Carl Mertens Wittwe besonders groß geschrieben. Wie würdest Du “Direct Trade” definieren? Und aus welchen Gründen hast Du damals den Weg des “Direct Trade” eingeschlagen?

Ansgar Elfgen: Im Grunde genommen haben wir mit der Finca Rio Colorado den Begriff Direct Trade, wie er heute üblicherweise verstanden wird, auf die nächste Stufe gehoben. Wir sind Kaffeebauer, Kaffeeexporteur, Kaffeeimporteur und Kaffeeröster.

Wir verfügen wir über Transparenz auf einem Niveau, das seinesgleichen sucht. Wir sind involviert in jede Stufe der Verarbeitung: vom Pflanzen, Heranwachsen, Ernten, Verschiffen, Lagern bis zur Lieferung an unsere Rösterei.

Wir bieten Konsistenz in der rückverfolgbaren Lieferung der Bohnen, der Qualität unserer Bohnen, der vereinbarten fairen Preise, und dem Umgang mit unseren Mitarbeitern. Wir sind ein Teil der lokalen Community und kennen persönlich die Familien, mit denen wir zusammenarbeiten.

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barista-passione.de: Die Kaffeebohnen von Carl Mertens Wittwe werden im sogenannten formula7-Röstverfahren geröstet. Was verbirgt sich hinter “formula7” eigentlich?

Ansgar Elfgen: Rösten ist mehr als nur „Kaffee braun bekommen“. Jede einzelne Zelle setzt beim Rösten mehr als tausend flüchtige Aromen frei. Elisabetta und Johannes sind SCA-zertifizierte Röstmeister (professional level). Sie beherrschen ihr Handwerk und verstehen die Röstreaktionen vom Trocknen über die Maillard-Reaktion, dem First-Crack und der Entwicklungsphase bis zum Abkühlen.

Beim speziellen Carl Mertens Wittwe formula7-Röstverfahren werden unsere Bohnen sortenrein langsam und schonend bei bis zu 200° C in einem doppelwandigen Giessen Trommelröster geröstet – im Gegensatz zu den zeitsparenden Industrieröstverfahren im Ultraheißluftstrom bei Temperaturen von bis zu 550 °C.

Die Zahl 7 steht für die Formel: Vollendung + Perfektion = Vollkommenheit. Wir überwachen lückenlos alle wichtigen Prozessparameter und speichern die Daten mit Hilfe der unter Röstern bekannten Software Cropster in der Cloud. Sie können im Fall von Nachfragen jederzeit wieder abgerufen werden.

Lückenlose Kontrolle

  • Lagerbedingungen und Qualität der grünen Bohnen (Temperatur, Feuchte, Dichte, Größe, Defekte, etc.)
  • Röstkurve (z.B. 12-15 Minuten Gesamtzeit ab Einlass bis Auslass, davon 15-20% Development Time, Rate of Rise max. 20°/Min., Auslasstemperatur ca. 200° C, etc.)
  • Farbkontrolle mit Tonino
  • barista-passione.de: Wie entstand die Partnerschaft von Carl Mertens Wittwe und dem italienischen Kaffee-Experten Dr. Andrej Godina?

    Ansgar Elfgen: Im Frühjahr 2016 haben meine Frau und ich an einem 2-wöchigen Coffee Campus in Honduras teilgenommen. Dort haben wir Dr. Andrej Godina kennen und schätzen gelernt. Er erzählte uns von seinem Traum einer eigenen Kaffeeplantage. Da ich zu diesem Zeitpunkt viel Zeit hatte und auf der Suche nach einer neuen Herausforderung war, habe ich die Realisierung übernommen.

    barista-passione.de: Du bietest auch Kaffeereisen nach Honduras an. Was können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konkret bei dieser Reise erwarten?

    Ansgar Elfgen: Die Teilnehmer/innen tauchen für 10 Tage in die Welt und die tägliche Arbeit der Kaffeebauern ein. Sie erleben aktiv alle Schritte vom Pflanzen der Kaffeebohnen in der Nursery, dem Kaffeepflücken, der Weiterverarbeitung bis zur Trocknung, dem Rösten und natürlich immer wieder Cupping.

    Diese Reisen organisieren wir in Zusammenarbeit mit dem Starkmacher e.V. und der Umami Area aus Florenz. Zertifizierte Trainer des PPP-Projektes Finca Rio Colorado und die Capucas Coffee Academy bieten Schulungen mit der Möglichkeit an, am Zertifizierungsmodul des Coffee Skills Programms der SCA teilzunehmen.

    Die Teilnehmer werden natürlich auch die Chance haben, den Nationalpark Celaque, oder die ca. 1 Autostunde entfernte Stadt Santa Rosa de Copan oder die Maya-Ruinen in Ruinas de Copan zu besuchen.

    Die nächste Reise in deutscher Sprache findet vom 13. – 22.02.2019 statt. Hier mehr erfahren.

    barista-passione.de: Die Bohnen von Carl Mertens Wittwe erreichen beim Cupping nach SCAA-Protokoll 83 – 84 Punkte und haben es damit in die Liga der Spezialitätenkaffees geschafft. Willst Du die Qualität der Bohnen weiter verbessern, um auf über 85 Punkte oder sogar auf über 90 Punkte zu kommen? Wenn ja, welche Maßnahmen sind Deiner Meinung nach notwendig, um die Qualität der Kaffeebohnen weiter steigern?

    Ansgar Elfgen: 83 – 84 Punkte sind nur der Startpunkt. Bereits jetzt achten wir auf einen umweltgerechten Anbau. Bis zum Jahr 2021 werden wir die Finca Rio Colorado vollständig auf organische Bewirtschaftung umstellen und ohne chemische Zusätze auskommen – bei gleicher Ertragsmenge und besserer Qualität.

    Darüber hinaus werden wir uns weiter auf Micro-Lots fokussieren, die wir unterschiedlich fermentieren und trocknen werden. Lasst Euch überraschen!

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    barista-passione.de: Aus welchen Gründen hast Du Dich dazu entschieden, für die Verpackung der Bohnen kein Aluminium zu verwenden? Wie sieht Deine alternative Lösung konkret aus? Und bietet diese Alternative einen ähnlichen Aromaschutz wie die herkömmlichen Verpackungen aus Aluminium?

    Ansgar Elfgen: Die wichtigste Antwort zuerst: Ja, unsere Verpackung bietet einen vergleichbaren Aromaschutz wie herkömmliche Aluminiumverpackungen. Zumal jede Packung über ein s.g. Aromaschutzventil verfügt.

    Für uns hat aber Nachhaltigkeit einen sehr hohen Stellenwert – nicht nur beim Anbau des Kaffees und der Weiterverarbeitung, sondern auch bei der Verpackung. Die Produktion unserer Aromaschutzverpackung Öko-Line der deutschen Firma Ströbel ist – im Unterschied zu Verpackungen aus Aluminium – mit einem geringeren Energieaufwand verbunden und dadurch umweltschonender und nachhaltiger. Sie wird in Deutschland produziert. Sie ist laut Angaben des Herstellers recyclebar – für Ressourcen und Umwelt ein weiterer Pluspunkt.

    barista-passione.de: Wo kann man den Kaffee von Carl Mertens Wittwe aktuell online und stationär (offline) überall kaufen?

    Ansgar Elfgen: Aktuell kann man unsere Bohnen nur in unserem Webshop kaufen. Wir sind aber auf der Suche nach Cafés und kleineren Läden, die sich mit unseren Werten identifizieren und unsere Specialty Coffees gerne ihren Kunden anbieten würden. Bärbel und ich stehen mit Rat und Tat zur Seite.

    Zum Online-Shop von Carl Mertens Wittwe.

    barista-passione.de: Vielen Dank für das Interview!

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    Erstellt am: 10. Oktober 2018

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